ERWIN ROSS -Rubens der Reeprbahn
Erwin Ross (1926–2010) war der Mann, der die Reeperbahn optisch so richtig in Schwung brachte – gewissermaßen der inoffizielle „Chefdesigner des sündigen Nordens“. Geboren im beschaulichen Wriezen, zeigte sich früh, dass sein Leben später weniger beschaulich werden würde. Nach der Schule lernte er Autoschlosser, wurde 1944 eingezogen, geriet in Italien in britische Kriegsgefangenschaft – und entdeckte dabei sein Talent als Maler. Kaum 18, pinselte er in einem ägyptischen Lager Wüstenlandschaften und Porträts für britische Offiziere. Vermutlich war er der einzige Kriegsgefangene, der mehr gemalt als marschiert hat.
1948 startete Ross in Deutschland seine Malerlaufbahn – zunächst im Dienst der SED. Doch seine Bilder wurden der Parteiführung bald zu frivol. In der DDR mochte man vieles dulden, aber sexy Plakate waren offenbar eine Revolution zu viel. 1955 zog Ross deshalb nach Hamburg, wo ihm niemand böse war, wenn ein Bild mal ein bisschen „zu viel Bein“ zeigte.
Sein Durchbruch kam durch eine kleine Annonce der „Tabu“-Bar auf der Großen Freiheit. Für eine Mark die Stunde – heutzutage würde man dafür nicht mal die Garderobe bemalen lassen – gestaltete Ross die gesamte Inneneinrichtung. 1956 eröffnete die Bar Deutschlands erste Striptease-Show, und Ross hatte endgültig die Pole-Position der Kiez-Künstler errungen. Sein Motto lautete: „Alles was kommt, wird gemacht!“ – und er meinte das genau so pragmatisch, wie es klingt.
Legendär wurde er mit dem Bühnenbild des 1962 eröffneten Star-Clubs: eine New-York-Skyline, die über die Köpfe von Beatles, Rattles und Co. strahlte. Eine hartnäckige Kiez-Legende behauptet, er habe auch das berühmte Beatles-„Drop T Logo“ erfunden.
Ende der 1960er begann Ross’ goldene Ära. Nun wurde er zum „Rubens von der Reeperbahn“ – ein Titel, der mindestens so charmant wie zutreffend ist. Seine Pin-up-Malereien, inspiriert von amerikanischen Größen wie Vargas, Petty und Ramos, prägten das Kiezbild entscheidend. Besonders berühmt: die gespreizten Frauenbeine über dem Eingang der Kneipe „Zur Ritze“. Ein Motiv, das Hamburgs wohl am häufigsten fotografiertes Paar Beine wurde – ganz ohne Laufsteg. Erwin Ross soll auch das Signet der Beatles erfunden haben, wurde aber dafür von den Fab Four nie bezahlt.
Dank Fotograf Günter Zint, der Ross’ Werk ab 1965 dokumentierte und 1990 im Sankt-Pauli-Museum zeigte, erreichte sein Schaffen überregionale Aufmerksamkeit. Neben erotischen Ikonen gestaltete Ross auch viele andere Motive für Bars wie die traditionsreiche „Hongkong-Bar“. Einige seiner Werke hängen heute im Erotic Art Museum, wo sie weiterhin mit Augenzwinkern und reichlich Farbe die Besucher begrüßen.



